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Rettungsanker BECCS?
Ein Fachbeitrag von Univ.-Prof. Dr. Michael Obersteiner
Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung
Der vom Institut für Umweltwandel (ECI) an der Universität Oxford geprägte Begriff BECCS (Bioenergy with Carbon Capture and Storage) ist eine technische Lösung, um CO2 aus der energetischen Nutzung von Biomasse langfristig zu binden. Die Biomasse wird in einer Biomasseanlage (z. B. Zellstofffabrik oder Biomassekraftwerk) verbrannt bzw. vergast. Dabei wird das CO2 in den Rauchgasen der Anlage abgeschieden und verdichtet. Anschließend wird es in ehemaligen fossilen Lagerstätten (Erdöl, Erdgas, Kohle) oder anderen geologischen Formationen verpresst. Die für BECCS benötigte Biomasse stammt beispielsweise aus Wäldern, Kurzumtriebsplantagen, landwirtschaftlichen Nebenprodukten oder auch Gräsern.
Negativemissionen im Pariser Klimaschutzabkommen
Das 2015 beschlossene internationale Klimaschutzabkommen von Paris verfolgt das Ziel, die globale Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Darüber hinaus sollen sich die Staaten bemühen, den Temperaturanstieg unter 1.5 Grad Celsius zu halten, um die verheerendsten Folgen des Klimawandels zu verhindern. Dafür sollen die Vertragsparteien so schnell wie möglich den Höchststand der Treibhausgasemissionen erreichen und danach rasche Reduktionen vornehmen.
Oft wird angenommen, dass das Klimaproblem mit der Dekarbonisierung unserer Ökonomie gelöst wäre – dies ist aber nicht der Fall. Das Pariser Klimaschutzabkommen sieht auch vor, dass in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen anthropogenen Emissionsquellen und – senken erzielt werden soll. Es ist also direkt im Verhandlungstext von Paris verankert, dass in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts CO2 mittels Senken wieder aus der Atmosphäre entnommen werden soll.
Reduktionsziele der Weltgemeinschaft zu unambitioniert
Viele Staaten wollen bis 2050 Klimaneutralität erreichen, Österreich und einige andere Länder schon 2040. Betrachtet man die Selbstverpflichtungserklärung der Länder in den nationalen Plänen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, erkennt man eine gewaltige Differenz zu den laut Emissionspfaden des Weltklimarates IPCC für das 1.5-Grad-Ziel notwendigen Reduktionen des CO2-Ausstoßes. Gerade der Landnutzungssektor (LULUCF) müsste schon in fünf Jahren eine Netto-Senke werden, also mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden als auszustoßen.
Gemäß den nationalen Berichten planen aber die meisten Länder, ihre Emissionen im Sektor LULUCF noch weiter zu erhöhen. Auch die jüngste Klimakonferenz in Glasgow (COP 26) konnte an der gigantischen Emissionslücke nichts ändern. Die Staaten sind nicht in der Lage, sich auf ausreichende Emissionsreduktionen zu einigen.
Klimasystem massiv gestört
Infolge der in den letzten Jahrzehnten vom Menschen verursachten Emissionen liegt die Konzentration von Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4) in der Atmosphäre genauso wie die globale Temperatur mittlerweile komplett außerhalb des Bandes der Erdgeschichte. Das System ist massiv gestört, es besteht dringender Handlungsbedarf. Die Menschheit droht sich aus einer stabilen Klimaperiode herauszubefördern.
Permafrost – Gefahr von Kipp-Punkten
Die Emissionspfade zur Einhaltung des 1.5-Grad-Zieles sind notwendig, um das Auslösen von Klimakippelementen zu vermeiden. Es stellt sich die Frage, ob wir reagieren können, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Ein drohendes Szenario ist das Auftauen des Permafrostes. Denn darin ist viermal so viel Kohlenstoff gebunden, wie der gesamte CO2-Gehalt der Atmosphäre beträgt. Es wäre also mit enormen zusätzlichen Emissionen zu rechnen. In den geläufigen Klimamodellen ist eine Mobilisierung des Permafrosts (Auftauen des Permafrosts und damit verbundene CO2-Emissionen) typischerweise nicht enthalten. Sollte man dieses Szenario miteinrechnen, haben wir das noch freie Kohlenstoffbudget des 21. Jahrhunderts mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 Prozent bereits heute verbraucht.
Das heißt, wir müssten unsere CO2-Emissionen sofort komplett einstellen und auch netto negative Treibhausgasemissionen erzielen. Wollen wir den heute noch vorhandenen Permafrostboden bis ins Jahr 2500 erhalten, bräuchten wir für 150 bis 250 Jahre sogar eine kleine Eiszeit. Wir müssten die globale Mitteltemperatur also deutlich senken, damit diese Böden langfristig wieder gefrieren können. Negativemissionstechnologien (NETs) werden
vor allem aus zwei Gründen benötigt:
- Zur Einhaltung des 1.5-Grad-Zieles, weil die Staaten nicht schnell genug reduzieren können.
- Um gegenzusteuern, wenn Kippelemente des Erdsystems gefährlich werden.
Umsetzung Kohlenstoffmanagement auf Landschaftsebene
Bioenergie ist eine essenzielle Technologie zur Erzielung negativer Treibhausgasemissionen. Zur Erzeugung der benötigten Bioenergie sind auch Änderungen in der Bewirtschaftung der Landflächen erforderlich. Ein Beispiel ist ein Investitionsprojekt der Holz- und Papierindustrie Stora Enso, die in Brasilien Kohlenstoffmanagement auf Landschaftsebene betreibt: In Bahia im Osten Brasiliens hat der Konzern seit 1994 auf zuvor landwirtschaftlich genutzten Flächen tropischen Regenwald wieder aufgeforstet. Einerseits erfolgen Renaturierungen von Wäldern bzw. wird Entwaldung vermieden, um Treibhausgasemissionen auszugleichen. Dazu kommen Aufforstungen mit Eukalyptus für eine Zellstofffabrik; andere Aufforstungen dienen als Rohstoff für Bioenergie, die teilweise mit CCS kombiniert wird. Die Landwirtschaft kompensiert ihre verlorene Produktionsfläche hauptsächlich durch Intensivierung.
Neben Aufforstungen im großen Stil (vor allem in den Tropen) benötigen wir weltweit dringend eine kohlenstoff-optimierte Waldwirtschaft. Letzteres heißt nicht, den Kohlenstoffgehalt im Wald zu maximieren, sondern bedeutet die Optimierung der Waldwirtschaft bezüglich Netto-Negativemissionen inklusive BECCS und Biokohle. Auch in Österreich gibt es Potenziale für Aufforstungen. Es fallen große Mengen Biomasse aus Kalamitätsholz und dem Waldumbau zu klimafitteren Mischwäldern an. Bioenergie und BECCS sind auch Möglichkeiten, bei temporären Überangeboten von minderwertigem Holz die Preise zu stabilisieren.
Landnutzungssektor als Kohlenstoffsenke
Die Abbildung zeigt die Beiträge des Landnutzungssektors zur Klimamitigation bzw. zur Einhaltung des 1.5-Grad-Zieles. Die Landwirtschaft hat angesichts der steigenden Weltbevölkerung ein relativ geringes Mitigationspotenzial. Bei der Forstsenke (Landnutzung) wird zu einem großen Teil über CO2-Zahlungen für vermiedene Entwaldungen und Aufforstungen Kohlenstoff im Wald aufgebaut. Obwohl in den Szenarien viel aufgeforstet wird, geht der Beitrag der Forstsenke ab etwa der Mitte des Jahrhunderts zurück, weil dann mehr Biomasse zur Kohlenstoff-Sequestrierung genutzt wird.
Diese Kohlenstoffbindung erfolgt nicht nur über BECCS, sondern z. B. auch über Holzbau. Das hellgrüne Band zeigt den Beitrag der Bioenergie in Form der Substitution fossiler Energieträger. Dunkelgrün gekennzeichnet ist dagegen der reine Verpressungseffekt von CCS, also der Abscheidung und Speicherung. Zusammenfassend sind Landwirtschaft und Landnutzungsänderung zwar wichtig zur Abschwächung des Klimawandels, die großen „CO2-Staubsauger“ sind aber Bioenergie und BECCS.
Im Vergleich zu den Senkeneffekten von Land- und Forstwirtschaft können Bioenergie und BECCS ungleich mehr zur Abmilderung des Klimawandels beitragen. Quelle: ECI, basierend auf Fricko et al., 2016
Finanzierbarkeit von Negativemissionstechnologien
Zahlreiche Länder – darunter ab 2022 auch Österreich – haben eine Form der CO2-Besteuerung fossiler Energieträger eingeführt, um diese teurer und damit unattraktiver zu machen. Dabei generiert der Staat über die CO2-Bepreisung ein Steuereinkommen; das gleiche gilt auch für Auktionen zum Erwerb von CO2-Zertifikaten. Da gemäß den IPCC-Emissionspfaden die CO2-Konzentration in der Atmosphäre sinken soll, würde das Aufkommen aus der CO2-Steuer ab etwa 2050 negativ werden. Für Negativemissionstechnologien fällt keine CO2-Steuer an, dieser Sektor müsste also von Subventionen des Staates gespeist werden. Beispiele von BECCS in Zellstoffwerken in Skandinavien gehen von Kosten zwischen 50 und 90 Euro pro abgeschiedener Tonne CO2 aus. Berechnungen zeigen, dass die Höhe der notwendigen Subventionen etwa 2 bis 3 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes ausmachen würde. Sollen die Industrieländer auch für ihre historischen Emissionen aufkommen, gelangt man in eine Größenordnung von 10 Prozent des Staatshaushaltes. Angesichts der notwendigen Ausgaben für Forschung, Gesundheit oder Bildung erscheint dies nicht realisierbar.
Vom Ablasshandel zum CO2-Wechselkredit
Ein mögliches Finanzierungsinstrument für NETs wären CO2-Wechselkredite. Diese sind sinnvoller als der CO2-Emissionshandel, bei dem z. B. ein Kohlekraftwerk als Ausgleich für seinen Treibhausgasausstoß ein Emissionszertifikat kauft – ohne Verpflichtung, sich künftig weiter zu engagieren. Die „Emissionssünde“ wird für immer vergeben, was einem Ablasshandel gleichkommt. NETs bieten die Chance, heutige CO2-Emissionen in Zukunft tatsächlich zu kompensieren, indem sie der Atmosphäre wieder entnommen werden.
Das Motto lautet: Wenn ich heute eine Emission verursache, muss ich später einen Teil davon wieder aus der Atmosphäre herausholen. Dieser Anteil kann z. B. 10 Prozent oder auch 200 Prozent betragen. Das Kohlekraftwerk, das CO2 ausstößt, nimmt einen Wechselkredit auf, der später eine Negativemission finanzieren kann. CO2-Wechselkredite könnten die Finanzierung von NETs erleichtern und bieten die Möglichkeit, BECCS und andere NETs zeitlich vorzuziehen. Wird dieses Thema nicht ernstgenommen bzw. wird nicht früh genug damit begonnen, um über technologisches Lernen die Kosten zu senken, kommt es in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu einem gewaltigen Finanzierungsproblem.
Je früher, desto besser
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die globalen Treibhausgasemissionen sinken. Die Fortführung des jetzigen Emissionsniveaus bedeutet, das wir in Zukunft viel mehr NETs brauchen werden. Deshalb sollte viel früher als geplant mit dem Aufbau von Negativemissionstechnologien begonnen werden. Diese Abbildung stellt der ursprünglich erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts geplanten Einführung von Negativemissionen die Option gegenüber, möglichst rasch mit BECCS (oder auch DAC = Direct Air Capture) zu beginnen (Szenarien „No Overshoot“ bzw. „Minimierung von NETs“).
Zahlreiche Argumente sprechen dafür, anstatt erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts bereits zeitgleich zur Dekarbonisierung mit dem Aufbau von Nettoemissionstechnologien zu beginnen. Quelle: Obersteiner et al., 2019 [3]
Aufgrund der erwähnten Unsicherheiten und weil viele Länder es nicht schaffen zu dekarbonisieren, ist es die bessere Strategie, mit NETs zeitgleich zur Dekarbonisierung anzufangen. Je länger wir warten, umso größer ist auch das Transitionsrisiko bezüglich technischer und biologischer Kapazität, groß angelegte NETs umzusetzen. Die Länder sollten sich bereits jetzt zu NETs verpflichten, die sie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts umsetzen. Die Staatengemeinschaft hat allerdings noch nicht begonnen, sich über dieses Thema zu unterhalten, geschweige denn, darüber zu verhandeln. Die Nationalstaaten müssen sich überlegen, wie viel BECCS, Biokohle und andere NETs sie brauchen.
Auch Österreich muss seinen Bedarf dieser Technologien abschätzen und einen Stresstest der heimischen Wirtschaft für Net Zero durchführen. Recht aktiv ist schon der Industriesektor: Microsoft möchte in den nächsten Jahren
seine historischen Emissionen kompensieren und ist dabei, Netto-Negativemissionen aufzubauen und zu finanzieren.
Weitere Lösungsoptionen
Neben BECCS und Biokohle gibt es weitere Möglichkeiten, um CO2 wieder aus der Atmosphäre herauszuholen. Durch das Auftragen von geriebenem Gestein (Enhanced Weathering) lassen sich degradierte Wald- oder Ackerböden verbessern, indem Bodenkohlenstoff aufgebaut wird. Der Verwitterungsprozess entzieht der Atmosphäre CO2. Dazu kommt die langfristige Kohlenstoffbindung im Holz durch die Bioökonomie in Form von Holzhäusern oder langlebigen Holzprodukten.
Neben dem Kohlenstoffmanagement im Wald ist auch das Biodiversitätsmanagement essenziell, denn Artenvielfalt ist eine funktionale Komponente für die Stabilität der Wälder. Wichtig bei der Umsetzung ist es, an die Innovationskraft des Menschen zu glauben und ideologischen Grabenkämpfen mit Evidenz zu begegnen.
Biomasse als Energieträger
Biomasse (bzw. biogene Energieträger = Bioenergie) trägt den Hauptteil zum Portfolio der erneuerbaren Energien in Österreich (ca. 55 %) und in der EU27 (ca. 60 %) bei, weil alle Bereiche des Energiebedarfs damit bedient werden können: Wärme, Mobilität und Strom.
Energie aus Holz als Lösung zur Energiewende
Der Pariser Klimaschutzvertrag gibt vor, dass wir bis 2050 komplett aus fossilen Energieträgern aussteigen müssen. Österreichs Bundesregierung hat sich dieses Ziel der Klimaneutralität bereits für 2040 gesteckt – also innerhalb von 19 Jahren Null-Ölheizungen & Null-Gasheizungen in unserem Land. Dabei tritt Holz mit seiner herausragenden Leistung als wichtigster erneuerbarer Energieträger für den Klimaschutz in den Vordergrund.
Zum Weiterlesen
Zum Nachlesen
Literatur
Univ.-Prof. Dr. Michael Obersteiner, Director Environmental Change Institute, University of Oxford
- [1] Roe et al. (2019): Contribution of the land sector to a 1.5 °C world
- [2] Bednar et al. (2021): Operationalizing the net-negative carbon economy
- [3] Obersteiner et al. (2019): How to spend a dwindling greenhouse gas budget
Quellen
- Univ.-Prof. Dr. Michael Obersteiner
Univ.-Prof. Dr. Michael Obersteiner
Michael Obersteiner ist Direktor des Environmental Change Institute an der Universität Oxford. Seine Forschungserfahrung reicht von biophysikalischer Modellierung in den Bereichen Ökosysteme, Forst- und Landwirtschaft bis hin zu Wirtschaft, Finanzen und integrierter Bewertung, und er arbeitet in allen Forschungsthemen des ECI. Professor Obersteiner kommt vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA), wo er Direktor des Programms für Ökosystemleistungen und -management (ESM) war, an das Institut. Er kam 1993 zum IIASA-Forstprogramm und leitet und entwickelt seit 2011 das ESM-Programm, das derzeit das größte Forschungsprogramm am IIASA ist. Professor Obersteiners Hintergrund umfasst die Bereiche globale terrestrische Ökosysteme und Ökonomie. Er hat sowohl in Österreich (BOKU Universität und Institut für Höhere Studien Wien) als auch im Ausland (Columbia University, New York und Sibirische Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften, Novosibirsk) graduiert. Unter seiner Leitung haben mehrere nationale und internationale Organisationen, darunter u.a. die Europäische Kommission, der WWF, die OECD und andere nationale und internationale Institutionen wissenschaftlich fundierte Politikberatung unter Verwendung quantitativer Modellierungstechniken erhalten. Er ist Autor von über 250 wissenschaftlichen Arbeiten und ein viel zitierter Forscher, der laut Clarivate-Recherche zu den ersten 1 % der Zitate im Web of Science gehört. (Quelle: https://www.eci.ox.ac.uk/people/mobersteiner.html)
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