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Assisted Migration kann die Wirkung der europäischen Wälder als Kohlenstoffsenke unter dem Klimawandel erhalten

Zusammenfassung einer Studie von DI Johannes Leeb

Um die Wälder an den Klimawandel anzupassen, sind die Änderung der Baumartenzusammensetzung und der Artenverteilung anerkannte Maßnahmen. Denn aufgrund der Ortsgebundenheit sind Bäume den klimatischen Faktoren am Standort ausgeliefert.

In Zeiten eines sich zunehmend erwärmenden Klimas stellt dies bei der Baumartenwahl eine Herausforderung dar. Die vorkommenden Bäume müssen nicht nur mit den heute vorherrschenden klimatischen Bedingungen zurechtkommen, sondern auch noch mit jenen der nächsten Jahrzehnte.

Wald als Kohlenstoffspeicher

In Europa bedecken Wälder rund 35 % der Landfläche und speichern dabei jährlich durchschnittlich 155 Mio. t Kohlenstoff. Um die Wirkung des Waldes als Kohlenstoffsenke aufrechterhalten zu können, sind produktive Wälder von enormer Bedeutung.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie mit Beteiligung des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) untersuchte die Auswirkungen der so genannten „assisted migration“ („unterstützte Migration“) auf die jährliche Wirkung junger europäischer Wälder als Kohlenstoffsenke.

Was versteht man unter „assisted migration“?

Mit „assisted migration“ ist eine durch den Menschen unterstützte „Wanderung“ von Forstsaat- oder Pflanzgut gemeint. Darunter kann der unterstützte Transfer von Saatgut einer bestimmten Herkunft einer Art an einen neuen Standort innerhalb des derzeitigen Verbreitungsgebiets dieser Art verstanden werden. Der Begriff kann gleichermaßen auch für den unterstützten Transfer von Saatgut zu einem Standort außerhalb des derzeitigen Verbreitungsgebiets der Art benützt werden.

Das Ziel solcher unterstützten Transfers von Saat- oder Pflanzgut einer bestimmten Herkunft ist die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Waldbeständen gegenüber dem Klimawandel. So könnten in Österreich beispielsweise Tannenherkünfte aus Kalabrien Anwendung finden, die an die zukünftigen Bedingungen besser angepasst sein könnten als die heimischen Herkünfte derselben Art. Für eine evolutionäre Anpassung der vorhandenen Baumartenherkünfte an die neuen Bedingungen (z. B. höhere Temperaturen) könnte die Klimaerwärmung zu schnell voranschreiten.

Modellierung mit Daten von Samenherkünften aus ganz Europa

In der vom BFW und anderen internationalen Partnern durchgeführten Studie wurde der Einfluss der „assisted migration“ unter verschiedenen Klimaszenarien auf die Kohlenstoffaufnahmeleistung der Fichte, Tanne, Weißkiefer, Lärche, Rotbuche, Trauben- und Stieleiche bis zu einem Bestandesalter von 40 Jahren modelliert. Diese sieben Baumarten bedecken ca. zwei Drittel der Waldfläche Europas. Dabei wurde auf Daten von knapp 3.000 Samenherkünften aus Herkunftsversuchen aus ganz Europa zurückgegriffen.

Um die Auswirkungen der „assisted migration“ zu erforschen, wurden zwei unterschiedliche Szenarien, einmal mit lokalem Saatgut und einmal mit angepasstem Saatgut, jeweils unter drei Klimaszenarien modelliert. Das Szenario, in dem angepasstes Saatgut modelliert wird, repräsentiert die „assisted migration“. Denn hier wird das Saatgut rein nach der Herkunft mit der höchsten Kohlenstoffaufnahmeleistung und unabhängig von der geografischen Lage ausgewählt. Das jetzige Klima wird durch Messungen im Zeitraum von 1991-2010 repräsentiert, wohingegen für den Zeitraum von 2061-2080 jeweils eine Variante mit einem mittleren und einem höheren Klimawandelszenario angenommen wurde.

Potentiell geeignete Waldflächen für Nadelhölzer nehmen durch den Klimawandel ab

Die Modellierung zeigt, dass die potentiell für Nadelhölzer geeigneten Waldflächen in Europa unter den zwei angewandten Klimawandelszenarien deutlich abnehmen. Gleichzeitig nimmt der relative Anteil für die potentiell für Laubhölzer geeigneten Waldflächen zu. Vor allem in Süd- und Südosteuropa werden die für die sieben Baumarten geeigneten Habitate allgemein zurückgehen.

„Assisted migration“ wirkt sich positiv auf die Kohlenstoffsenke der Wälder aus

Würden beim Waldumbau hin zu laubholzreicheren Beständen ausschließlich lokale Herkünfte verwendet werden, führte dies zu einer Abnahme der Kohlenstoffaufnahmeleistung unter den modellierten zukünftigen Klimabedingungen. Die Anwendung der „assisted migration“ (also die Verwendung von Baumarten aus anderen geografischen Regionen) könnte jedoch die jährliche Kohlenstoffaufnahmeleistung der Wälder erhöhen.

Dies trifft interessanterweise nicht nur auf die beiden modellierten zukünftigen Klimawandelszenarien, sondern auch auf ein theoretisch gleichbleibendes Klima zu. Besonders Nadelbäume könnten von der „assisted migration“ profitieren, denn hier würde die Kohlenstoffaufnahmeleistung im Vergleich zu Laubhölzern höher ausfallen.

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen das Potential der Verwendung geeigneter Baumherkünfte aus anderen geografischen Regionen auf. Weitere Forschung auf diesem Gebiet sollte mögliche Risiken der „assisted migration“ untersuchen. Das gewonnene Wissen könnte zukünftig bei der Herkunftswahl von Baumarten berücksichtigt werden und damit in der forstlichen Praxis konkret angewandt werden.​

Zum Weiterlesen

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Zum Nachlesen

Quellen

Rechte & Produktion

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